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Bundesverwaltungsgericht zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei gelegentlichem Cannabiskonsum und erstmaligem Verkehrsverstoß

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.04.2019

(Aktenzeichen: 3 C 13.17, 3 C 14.17, 3 C 7.18, 3 C 2.18, 3 C 8.18, 3 C 9.18) hinsichtlich der Frage, ob bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten und erstmaligen Verkehrsverstoß die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 7 FeV (Fahrerlaubnisverordnung) ohne vorherige MPU-Anordnung (Medizinisch-Psychologische Untersuchung) möglich ist.

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Das BVerwG hat in dieser Frage seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben.
Die überwiegende Rechtsprechung ging bislang davon aus, dass im Regelfall ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen, insbesondere ohne die Anordnung einer MPU, der gelegentliche Cannabiskonsument als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs anzusehen sei (so z.B. VGH Mannheim, Beschl. v. 07. 03.2017, Az. 10 S 328/17; OVG Münster, Urt. v. 15.03.2017, Az. 16 A 432/16; OVG Koblenz, Beschl. v. 02.03.2018, Az. 10 B 11400/10; VG Oldenburg, Beschl. v. 12.04.2018, Az. 7 B 1567/18).

Der VGH München hat demgegenüber erstmals mit Urteil vom 25.04.2017 (Az. 11 BV 17.33) anders entschieden. Er argumentierte hierbei, dass sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der einschlägigen FeV-Bestimmungen (§§ 11 Abs. 7, 14 Abs. 1 S. 3 FeV) ergebe, dass die Fahrerlaubnisbehörde zuerst eine MPU anzuordnen habe. Dabei sei zu klären, ob aus dem Verhalten des Betroffenen der Schluss gezogen werden könne, dass er auch in Zukunft Fahren und Cannabiskonsum nicht trenne. Wie bei Alkoholfahrten könne die Fahrer-laubnisbehörde diese Entscheidung im Regelfall nur auf der Grundlage eines MPU-Gutachtens treffen. Nur bei negativer MPU müsse danach die Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen. Ebenso entschied der VGH München im Urteil vom 21.09.2017 (Az. 11 BV 17.685) und 28.02.2018 (Az. 11 BV 17.1036).

Auch der 57. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2018 beschäftigte sich mit dem Thema (DAR 3/2018, S. 121 ff.). Der Arbeitskreis V „Cannabiskonsum und Fahreignung“ empfahl, dass der erstmalig im Straßenverkehr auffällig gewordene, gelegentliche Cannabiskonsument nicht ohne weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werde, sondern dieses Verhalten lediglich Zweifel an seiner Fahreignung auslöse, die er mittels einer MPU ausräumen könne. Nach Meinung des Arbeitskreises darf nicht bereits ab 1 ng/ml THC im Blutserum fehlendes Trennungsvermögen unterstellt werden.

Sachverhalt

In den beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen sechs Verfahren wurde im Rahmen von Verkehrskontrollen festgestellt, dass die Kläger jeweils ein Kraftfahrzeug führten, obwohl ihre Fahrtüchtigkeit durch vorangegangenen Cannabiskonsum beeinträchtigt war. Die zuständigen Fahrerlaubnisbehörden entzogen daraufhin die Fahrerlaubnis ohne vorherige Einholung einer MPU, da sie diese nicht für erforderlich hielten. Bei ihrer Entscheidung ging die Behörde von fehlender Fahreignung wegen gelegentlichen Cannabiskonsums und unzureichender Trennung zwischen Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges aus.

Die gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Klagen waren insoweit erfolgreich, als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinen Berufungsverfahren zu dem Ergebnis kam, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten nach einer erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis grundsätzlich noch nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen könne. Vielmehr sehe § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV in solchen Fällen die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege vor.

Eine andere Auffassung vertritt indes das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen: Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei zu Recht auf der Grundlage von § 11 Abs. 7 FeV erfolgt. Dieser Auffassung folgte auch eine Kammer des Verwaltungsgerichts München, die deshalb in ihrem klageabweisenden Urteil die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen hat.

Da gegen alle Urteile die Revision zugelassen wurde, hat jetzt das Bundesverwaltungsgericht entschieden und die Auffassung des VGH München bestätigt:

Entscheidung des BVerwG

Die Fahrerlaubnisbehörde darf bei erstmaliger Cannabisfahrt nicht ohne weitere Aufklärung von der Nichteignung des Fahrzeugführers ausgehen und unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen habe die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln zu entscheiden.
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt insoweit seine bisherige Rechtsprechung (Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3.13), als ein gelegentlicher Konsument von Cannabis seinen Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennt (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung), wenn bei der Fahrt die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit besteht.

Eine solche Möglichkeit besteht weiterhin bereits dann, wenn beim Betroffenen im Anschluss an die Fahrt eine THC-Konzentration von 1 ng/ml oder mehr festgestellt wird. Auch schon der einmalige Verstoß begründet insoweit Bedenken hinsichtlich der Fahreignung, welchem die Fahrerlaubnisbehörde nachgehen muss. Das Gericht lehnt damit die Empfehlungen der Grenzwertkommission von 2015 nach einer Anhebung auf 3,0 ng/ml ab.

Erforderlich ist insoweit jedoch eine Prognose, ob der Betroffene auch künftig nicht das entsprechende Trennungsvermögen besitzt. Um hierfür eine ausreichend abgesicherte Beurtei-lungsgrundlage zu haben, bedarf es in der Regel der Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die Fahrerlaubnisbehörde habe deshalb gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anordnung der Beibringung eines solchen Gutachtens und die hierbei einzuhaltende Frist zu entscheiden.

Bedeutung für die Praxis

Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass die erstmalig festgestellte Drogenfahrt des gelegentlichen Cannabiskonsumenten nicht unmittelbar die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge hat. Vielmehr muss der Betroffene die hierdurch begründeten Fahreignungszweifel durch die Beibringung des Gutachtens ausräumen und bleibt bis zur endgültigen Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde im Besitz seiner Fahrerlaubnis.